RIJEKA IST EIN HAFEN DER VIELFALT

Buchbesprechung der literarischen Anthologie Rijeka aus der Buchreihe Europa erlesen

text: Ivica Košak

Die kroatische Hafenstadt Rijeka ist eine der beiden Kulturhauptstädte 2020 und muss, bedingt durch die Corona-Pandemie, die meisten geplanten Kulturveranstaltungen absagen.

Die Zeitschrift Riječ reist dennoch nach Rijeka – zumindest literarisch. Im Sonderheft Nr. 2 / 2020 sind etwa zehn Beiträge über die Stadt Rijeka präsentiert, die bereits in der Zeitschrift Riječ gedruckt oder als Beitrag zur öffentlichen Diskussion veröffentlicht wurden.

Literarische Anthologie  Rijeka aus der Buchreihe Europa erlesen

Diese schöne Anthologie handelt von Rijeka. Sie zeigt uns nicht immer ein schmeichelhaftes Bild der Stadt. Aber die Autorinnen und Autoren haben natürlich noch mehr zu sagen:  Die Stadt in der Kvarner-Bucht, die Reka, Rijeka oder Fiume genannt wird, ist mehr als eine Promenade, als eine Schnittstelle von Land und Merr.

Sie ist ein  Großer Bahnhof für Kulturen. Hier beginnt der Süden. Rijeka, Stadt am Meer, Stadt am Fluss, Stadt als Fluss. Fiume! Rijeka! Liburnisch, histrisch, römisch, slawisch, österreich-ungarisch, italienisch, jugoslawisch, kroatisch … europäisch. Mondän, morbid, charmant: Industrieruinen erzählen die Zäsuren des 19. und des 20. Jahrhunderts, während Wellnessresorts die Sommerfrische wiederbeleben.

Die Stadt Rijeka verzaubert weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick. Der bezaubernde Mikrokosmos eröffnet sich jedoch demjenigen, der genauer hinschaut und in die Geschichte der Stadt eintaucht, schrieben Gerhard M. Diens und Gero Fischer im Nachwort zur Anthologie, Die ca. 250 Seiten, gebunden mit Lesebändchen und Prägedruck, führen schnell ein in den Mikrokosmos am Fluss Rječina.

Mehr als 80 Texte sind der Stadt gewidmet, darunter Gedichte, Kurzgeschichten und Auszüge aus Romanen. Das Autorenspektrum umfasst den berühmten kroatischen Schriftsteller Daša Drndić (1946-2018), Nedjeljko Fabrio (Split 1937 – Rijeka 2018), den in Rijeka geborenen Ungarn Ödon von Horvath (1901-1938) und den deutschen Schriftsteller Veit Heinichen (* 1957)…

Der Blick auf die Stadt reicht weit in die Geschichte zurück. Aber aus der Geschichte ist nicht ersichtlich, ob die Phönizier, Liburner, Illyrer, Kelten, Römer oder Slawen diese Stadt gegründet haben. Es ist jedoch bekannt, dass die Phönizier, die Liburner und die Illyrer sowie die Kelten und die Römer und Slawen sie häufiger, legal und illegal zerstörten… Nikola Polić (1890.-1960.) in “Über babylonischen Wassern”  ab S. 36.

Immer wieder neu wird das schmerzhafte Kapitel über die italienische Besatzung, die im letzten Jahrhundert stattfand, thematisiert. Jedoch die anschließenden Vertreibungen von Italienern unter jugoslawischer Herrschaft gehören auch zur Geschichte der Stadt. Weitere Texte thematisieren die unmenschlichen Taten der Nazis, beschreiben die rachsüchtigen Reaktionen der Partisanen oder die Verfolgung mutmaßlicher Staatsfeinde unter der Führung von Udba, der geheimen jugoslawischen Polizei.

Das Buch überwältigt die Leser jedoch nicht alleine mit der Last der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es handelt von der Geschichte des Stadtwappens, dem Schutzpatron von Rijeka (St. Vid), den Legenden rund um die römische Festung Trsat oder dem Grand Hotel Bonavia (wo auch Tito gern abstieg)…
Natürlich spielt auch die geographische Position von Rijeka eine Rolle: Hier wird die Adria (hinter dem Berg) im Winter von einer Bora und im Sommer von unerträglicher Hitze gepeitscht.

Und beim Lesen poetischer Texte scheinen die Leser den Stadthafen riechen zu können. Sinnlicher geht es in der Literatur nicht mehr, und dies wird nur noch von der Vielfalt des Inhalts übertroffen.

Das Motto der Kulturhauptstadt Europas heißt schließlich Hafen der Vielfalt.

Für die literarische Vielfalt haben Gerhard M. Dienes, Ervin Dubrović, Marijana Erstić und Gero Fischer die mehr als 80 Texte für das Buch ausgewählt. Die Leistung dieses literarischen Quartetts verpflichtet uns, auch über sie als Herausgeber der Anthologie einiges zu erwähnen.

Gerhard M. Dienes, geboren 1953 in Graz, ist Historiker am Universalmuseum Johanneum, Kurator von über 90 Ausstellungen im In- und Ausland, ca. 150 Publikationen zur Stadt-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte sowie zur Geschichte des Alpen-Adria-Raumes. Herausgeber/Mitherausgeber u.a. von e la nave va … Die Schiffe von Triest, 1997, Einmal Wien-Triest. Das Südbahn-Lesebuch, 2007, Sehnsucht nach dem Süden, 2016 sowie des Bandes Graz (2003) in der Reihe Europa Erlesen.

Ervin Dubrović, geboren 1957 in Rijeka, studierte Kunstgeschichte und vergleichende Literaturwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Universität Zagreb und ist Direktor des Stadtmuseums von Rijeka. Zur Emigration aus Mitteleuropa nach Amerika kuratierte er die Ausstellung Merika, die 2008-2009 im Stadtmuseum Rijeka und 2012 im Ellis Island Immigration Museum New York gezeigt wurde. Er ist Autor zahlreicher Monographien zu zeitgenössischen Künstlern sowie zur Kulturgeschichte der Stadt, zuletzt Rijeka – South Pole of Central Europe (2018).

Marijana Erstić, Ao. Prof. für deutschsprachige Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Split in Kroatien, davor Projektleiterin einer internationalen DFG-Tagung über 100 Jahre nach Fiume – Gespräche über Gabriele D’Annunzio im Deutsch-italienischen Zentrum für europäische Exzellenz Villa Vigoni in Loveno di Menaggio in Italien, ferner Privatdozentin, Lecturer und DFG-Projektmitarbeiterin an der Universität Siegen. Habilitation in Siegen über Ein Jahrhundert der Verunsicherung: Medienkomparatistische Analysen (Publikation: Siegen 2017) und Paragone 1900. Studien zum Futurismus (Publikation: Siegen 2018). Davor Promotion (2006) und Magisterabschluss (1999) an der Universität Siegen. Aktuellste Monographie: Dubrovnik intermedial. Zwischen Idyll und Katastrophe (Siegen 2020). Bereits im Wieser Verlag erschienen: Europa Erlesen Zagreb (2001) – Website.

Gero Fischer, geboren 1939 in Hagen. Besuch eines humanistischen Gymnasiums, Studium der Germanistik und Romanistik, 25 Jahre Forschung und Entwicklung bei einem industriellen Großunternehmen, automatische Lexikografie, Datenbanksysteme, künstliche Intelligenz. Herausgeber eines Buches über Datenbanksysteme und natürliche Sprache im K. G. Saur Verlag. Studien- und Forschungsaufenthalt in den USA an der Carnegie-Mellon-Universitat in Pittsburgh und an einer Forschungseinrichtung in Princeton, Studium der Slawistik. In der Reihe Europa Erlesen Herausgeber der Bände Slawonien (2005) sowie gemeinsam mit Miloš Okuka Terra Bosna (2002), Kvarner (2007), Mostar (2008) und Vojvodina (2009). Zahlreiche Übersetzungen im Wieser Verlag, zuletzt erschienen: Miroslav Krleža: Die Fahnen (2016, gemeinsam mit Silvija Hinzmann).

EUROPA ERLESEN – Rijeka

Gerhard M. Dienes / Ervin Dubrović / Marijana Erstić / Gero Fischer (Hrsg.)
ca. 250 Seiten, gebunden, Lesebändchen, Prägedruck
EUR 14,95

0 0 votes
Article Rating

Related Post

Subscribe
Notify of
guest
1 Comment
Newest
Oldest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Josip Mayer
Josip Mayer
3 years ago

Istina je Rijeka pruža više,društvene,socijalne i gospodarske mogućnosti,još samo amo da dobije,Muzej hrvatskog iseljeništva..I,da se u njoj slavi Dan iseljenika.Bila bi to dodatna turistička destinacija i približavanje,različitih nacija.