POSITIONEN: Mitten im europäischen Mainstream … Tagessspiegel
von Dr. Miro Kovač (Kroatischer Botschafter)
Erfreulicherweise ist es in Südosteuropa nach den mitunter heftigen Erschütterungen der 90er Jahre mittlerweile zu einer Stabilisierung und weitgehenden politischen Europäisierung der Verhältnisse gekommen. Maßgeblich dazu beigetragen hat die 2004 und 2007 vollzogene Erweiterung der Europäischen Union um Staaten, die Mittel- und Osteuropa beziehungsweise Südosteuropa zugerechnet werden.
Heute unterzeichnet Kroatien in Brüssel den Beitrittsvertrag und markiert damit den Durchbruch zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Der Beitritt zur Union wird aber nicht nur für Kroatien wichtig sein, er wird auch zur Steigerung des Mehrwerts der EU in Bezug auf Südosteuropa beitragen.
Als „geo- und kulturpolitisches Amphibium“, das im mediterranen, mitteleuropäischen und dem Balkanraum agiert, wird Kroatien eine wichtige Mittlerrolle bei der Vervollständigung des europäischen Einigungsprojekts zukommen.
So wird beispielsweise ein konstruktives und stabilisierendes Wirken Kroatiens bezüglich des benachbarten Dreivölkerstaats Bosnien- Herzegowina gefragt sein.
Mehrwert bringt der für Mitte 2013 programmierte Beitritt Kroatiens aber auch, weil er eine klare Botschaft sendet: Nur die konsequente Durchsetzung wesentlicher und auf Effizienz und Transparenz ausgerichteter Reformen, besonders im Bereich der Rechtstaatlichkeit, ist langfristig gewinnträchtig.
Stand in den Jahren 2004 und 2007 die Aufnahme der ehemals sozialistischen Länder noch vorrangig unter dem Zeichen der endgültigen Überwindung der Teilung zwischen Ost und West, so dominiert im Falle des Beitrittsprozesses Kroatiens eindeutig das Leistungsprinzip. Davon zeugen die sehr viel strengeren Auflagen und infolgedessen die Dauer der Beitrittsgespräche. Das Beharren der Europäischen Union auf dem Leistungsprinzip und das Abstreifen jeglicher Sentimentalitäten haben sich indessen bewährt und eine nachhaltige Umwandlung der kroatischen Gesellschaft in Gang gesetzt. Diese Vorgehensweise stieß anfangs bei weiten Teilen der Bevölkerung auf Unverständnis.
Anfang der 90er Jahre war unter den Menschen die historisch gewachsene Überzeugung verbreitet, man müsse „zum Westen zurückkehren“ und gehöre zu „Europa“ und somit – natürlicherweise – in die Europäische Union aufgenommen. Eine schnelle Heranführung Kroatiens an die Europäische Union gelang aber nicht. Dafür gab es hauptsächlich zwei Gründe: Einerseits der gegen Kroatien geführte Krieg mit all seinen gesellschaftlichen Nachwirkungen und andererseits das Pochen der „kroatischen Gründerväter“ auf einem selbstständigen Weg in die Europäische Union, frei von jeglichem Zwang einer „verordneten“ regionalen Zusammenarbeit im Rahmen des sogenannten Westbalkan.
So kam es denn erst im Jahre 2000 zu einer substanziellen Annäherung an die Europäische Union, und zwar nachdem die frisch ins Amt gewählte Regierungskoalition eine pragmatische Haltung zum Postulat einer regionalen Zusammenarbeit eingenommen hatte. Trotz der Bemühungen Zagrebs gelang es jedoch nicht, gemeinsam mit den anderen ehemals sozialistischen Ländern im Rahmen des Big-Bang-Erweiterungsschubs im Jahre 2004 beziehungsweise 2007 beizutreten.
Die Verzögerung der Integration Kroatiens in die EU hatte im Nachhinein aber eine positive Wirkung auf die Entwicklung des Landes: Die Anfang der 90er Jahre spürbare Romantik in Bezug auf die Europäische Union ist einem Realismus gewichen. Für den Beitritt zur EU mussten schwierige gesellschaftliche Reformen durchgeführt werden. Auf die harte Arbeit darf man in Kroatien durchaus stolz sein.
Die Menschen wissen jedoch: Um eine innovative, konkurrenzfähige und nachhaltig wirtschaftende Gesellschaft zu schaffen, müssen die entsprechenden Reformanstrengungen fortgesetzt werden. Erfolg bringt ausschließlich die Anwendung des Leistungsprinzips. Nach zwei Jahrzehnten gesellschaftlicher Umwandlung ist Kroatien somit im europäischen Mainstream angelangt. Das ist gut für Kroatien, aber auch gut für Europa.