EIN SCHWERES ERBE

Kroatien leidet unter seiner unbewӓltigten Vergangenheit

Von Gojko Borić
josipovi__milanovi_515163S1Der jüngste EU-Staat Kroatien befindet sich wirtschaftlich und gesellschaftlich in einer sehr prekären Lage. Die Arbeitslosigkeit beträgt über 21 Prozent (etwa 355.000 Arbeitssuchende), mehr als  300.000 Menschen können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen und etwa 52.000 junge Menschen möchten angesichts der wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit auswandern.

Ausländische Investitionen sind gänzlich ausgeblieben. Die Regierung verkauft oder verpachtet nahezu alle staatlichen Betriebe samt der neu gebauten Autobahnen.

Es ist bezeichnend, dass in Kroatien im letzten Jahr über 154 Millionen Antidepressiva gebraucht wurden. Die sozial-liberale Regierung hat nach ihrem Antritt vor zwei Jahren Besserung der Lage versprochen, von der heute keine Rede mehr ist. Geblieben ist es bei Steuererhöhungen und Streiks. Hinzugekommen sind endlose Diskussionen in drei Streitpunkten.

Drei Streitpunkten

Der erste betrifft ein  Volksreferendum, angestossen von der konservativen Bürgerinitiative „Im Namen der Familie“, mit dem  sich  eine Zweidrittelmehrheit der Teilnehmer mit ihrer Forderung, die klassische Ehe als „Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“ in der Verfassung festzulegen, durchgesetzt hat.

Im zweiten Punkt geht es um die  im letzten Jugoslawien-Krieg schwer beschädigte Stadt Vukovar, in der  wochenlang  Unruhe herrschte, weil die Regierung gegen den Willen der dortigen kroatischen Bevölkerung zweischriftliche (lateinisch und kyrillisch) sowie  zweisprachliche (kroatisch und serbisch) Tafeln an öffentlichen Gebäuden anordnete mit der Begründung, dies sei durch ein Gesetz über nationale Minderheiten vorgeschrieben.

Im dritten Streitpunkt geht es um die zögernde Haltung der kroatischen Justiz bei der  Auslieferung des ehemaligen Geheimdienstlers Josip Perković an Deutschland, der von einem Münchener Gericht  der Beihilfe zum Mord an einem kroatischen Emigranten  beschuldigt wird.

Ist die Ehe noch etwas anderes als die Gemeinschaft von Mann und Frau?

Die Bürgerinitiative „Im Namen der Familie“ unter der Führung von Dr. Željka Markić  erhielt für ihr Referendum über die Bezeichnung der Ehe in der Verfassung doppelt mehr Unterschriften  als  notwendig.

Damit versetzte sie die Regierenden und ihre Medienunterstützer geradezu in Panik. Einige sozialdemokratische Abgeordneten versuchten trickreich das Referendum zu verhindern. Dem trat das Verfassungsgericht entgegen. Sowohl die Regierung als auch   Staatspräsident Josipović (dieser eigentlich zur Neutralität verpflichtet) haben sich gegen die Bezeichnung der Ehe als eine „Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“ ausgesprochen.

Einige Regierungsbeamten und Journalisten beschimpften die Initiatoren des Referendums aufs übelste als Faschisten, Adolf Eichmanns, KZ-Aufseher, Judenverfolger, rückständige Provinzler und antizivilisatorische Hinterwäldler. Viele linksgerichtete Intellektuelle und Künstler, aber auch Aufmerksamkeit heischende Sternchen äußerten sich teils in unerträglichen Schimpfkanonaden gegen die Befürworter der Befragung.

Nahezu die gesamte Tagespresse – übrigens in deutschem Mehrheitsbesitz – stimmte ebenfalls dagegen. Sogar die öffentlich-rechtliche „Kroatische Radiotelevision“ bot den Anhängern der Bürgerinitiative keine gleichberechtigte Plattform für die Darlegung ihres Vorhabens.

Für und wider

Darauf hat die Initiative mit einer heftigen Zurückweisung einiger Medien geantwortet, was ein Fehler war. Die Gegner des Referendums haben in der Öffentlichkeit überproportional dominiert.  Sie sehen durch den Eintrag in die Verfassung die Rechte der gleichgeschlechtlichen Paare auf  Familiengründung mit allen Konsequenzen beschädigt.

In Wirklichkeit ist die Bezeichnung der Ehe als „eine Lebensgemeinschaft von Frau  und Mann“ im kroatischen Familiengesetz seit langem festgelegt. Nicht anders als in Deutschland. Wozu also dieser Aufstand. Offensichtlich wollte die Regierung in Zagreb die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft in allen Rechten der klassischen Mann-Frau-Ehe gleichstellen. Das aber würde auch das Recht auf Kinderadoption einschließen, was in Kroatien mit seiner 95prozentigen christlichen Bevölkerung nicht mehrheitsfähig ist.

Die Kirchen mischen mit

Hinter den Referendumsinitiatoren standen naturgemäß die katholische und die orthodoxe  Kirche, die Moslems und Teile der Juden sowie die oppositionelle Kroatische Demokratische Gemeinschaft zusammen mit zwanzig anderen kleineren Parteien. Außerdem hatten sich Vertreter der achtzig europäischen Organisationoen für die Menschenrechte (European Dignity Watch) dem Begehren angeschlossen.

Nach ihrer Meinung richtet sich  die Bejahung der traditionellen Ehe nicht gegen die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft. Im Nachhinein versucht die Zagreber Regierung, das Familiengesetz in puncto Kinderadoption doch noch so zu verändern, dass gleichgeschlechtliche Paare das Recht auf  Patenschaft erhalten, was einer Adoption nahe käme. Dieses Problem bedarf noch vieler Diskussionen.

Die nicht ganz objektive deutsche Presse

In der deutschen Presse wurde die  Forderung der Bürgerinitiative „Im Namen der Familie“ nicht korrekt wiedergegeben. So übersetzten die Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Süddeutschen Zeitung“ die kroatische  Definition „die Ehe ist eine Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“ fälschlicherweise als „lebenslange Gemeinschaft“ und mißdeuteten damit die Forderung.

Für die „Süddeutsche“ war das Votum für die klassische Ehe eine „Rolle rückwärts“, obwohl die gleiche Definition in den Verfassungen der EU-Länder Litauen, Polen, Lettland, Ungarn und Bulgarien und bald auch Rumänien nachzulesen ist.

Das ursprüngliche Problem, das die Kroaten mit der neuen Regierung hatten, wie die „FAZ“ berichtete, bezog sich auf den Sexualunterricht in Schulen, der nicht mit den Eltern abgesprochen wurde. Nach langem Streit wurde dieses Programm vom Verfassungsgericht kassiert. Für andere deutsche Zeitungen war dies nicht berichtenswert. Dieselbe Zeitung schrieb über den Druck der Regierung auf einen Studentenseelsorger, der im Uni-Zentrum von Zagreb nicht über das Referendum reden durfte, erwähnt aber nicht, dass derselbe Priester mit dem Tod bedroht wurde.

Die Befürworter der gleichgeschlechtlichen Ehe bezeichnen ihre Forderung als Menschenrecht. Jedoch wollte sich die Europäische Kommission, so die „FAZ“, nicht in diesen Konflikt einmischen, weil die Definition der Ehe ausschließlich eine nationale Angelegenheit sei.

Die Rolle rückwärts

Das kroatische Verfassungsreferendum, so die „Süddeutsche Zeitung“, zeige „die Schattenseiten der direkten Demokratie“ und dass der Sieg der Befürworter der klassischen Ehe „den Nationalisten Auftrieb“ geben werde. Man fragt sich, wie leicht man nahezu einer Million Menschen, die beim Referendum mit  Ja stimmten, den Stempel „Nationalist“ aufdrückt.  Übrigens: In Kroatien gibt es, im Unterschied zu Deutschland und vielen anderen EU-Ländern, keine ernstzunehmenden extrem rechten politischen Parteien.

Diese mangelhaften Kommentierungen überbot der Kommentator der  regierungsnahen  „Deutsche Welle“ in ihren kroatischen Sendungen. Darin behauptet er, dieses Referendum sei ein „Zusammenstoß zwischen den urbanen Eliten und der konservativen, katholischen, teilweise homophoben Mehrheit“.

Tatsache ist, dass von zwanzig kroatischen Gespanschaften (etwa entsprechend den deutschen Regierungsbezirken) nur zwei (Istrien und das Küstenland) gegen die klassische Eheform gestimmt haben, von den größeren Städten nur Rijeka, während die Hauptstadt Zagreb mit allen anderen kroatischen Städten, also rein urbanen Zentren, mit einem Nein zur Homoehe votierten.

Nach Meinung des DW-Kommentators stellen diese Resultate des Referendums eine „ernsthafte Gefahr für die demokratische Entwickung Kroatiens“ dar. An  seine Meinung koppelt er obendrein die dunkle „Prophezeiung“, dass demnächst auch andere Minderheiten, wie zum Beispiel die serbische, bedroht sein werden.

Diese hanebüchene Aussicht scheint selbst Kroatiens Präsident Josipović nicht zu teilen. Nach seinen eigenen Worten habe ihn das Abstimmungsergebnis traurig gemacht, aber  nach seiner Meinung werde sich in Kroatien danach nichts wesentlich ändern. Auch Ministerpräsident Milanović vertrat dieselbe Meinung.

Vukovar – eine offene Wunde mit kyrillischer Schrift

Alljährlich versammeln sich hunderttausende Kroaten in Vukovar an der Donau, der von der serbisierten sogenannten „Jugoslawischen Volksarmee“ und serbischen paramilitärischen Verbänden zerstörten Stadt, um der dortigen Opfer im Vaterländischen  Krieg zu gedenken.

Hier und in der Umgebung wurden tausende kroatische Soldaten, darunter Kriegsgefangene und Verletzte sowie Zivilisten samt Frauen und Kinder ermordet. Bis heute sind die Gräber von mehr als 600 Opfern nicht bekannt. Trotz der friedlichen Eingliederung Vukovars und Ostsyrmiens in das kroatische Territorium  sind die alten Kriegswunden noch offen.

Durch eine Amnestie, vor dreizehn Jahren von der internationalen Staatengemeinschaft erzwungen,  sind zahlreiche Verbrechen von kriegsteilnehmenden Serben ungesühnt geblieben.

Eine multinationale Integration hat in Vukovar nicht stattgefunden. Ungeachtet dieser Tatsachen hatte die erste sozial-liberale Regierung in Kroatien ein Minderheitengesetz verabschiedet. Demnach   genügen in einem Ort  bereits 30 Prozent Minderheitsbewohner  und  nicht 50 Prozent, wie in der EU üblich, um dort zweisprachige und zweischriftliche Tafeln aufzustellen.

Stab zur Verteidigung des kroatischen Vukovar

Für Vukovar bedeutet das die serbische Sprache und die kyrillische Schrift. Als diese Aktion vor zwei Monaten stattfand,  bildete sich ein „Stab zur Verteidigung des kroatischen Vukovar“, der auf diese Maßnahme mit der Zerstörung der Tafeln antwortete.

Die Staatsmacht klinkte sich immer wieder ein, sogar mit Unterstützung der Spezialpolizei. Angesichts dieser Lage verkündete der Stab, dass bei der diesjährigen Kommemoration die Staatsführung nicht willkommen sei in Vukovar. Bei der Feier am 18. November 2013 wurde sie das erste Mal angeblich mit sanfter Gewalt von den anderen Teilnehmern getrennt.

Nach einer kurzen Zeremonie traten die Politiker den Rückzug nach Zagreb ein. Hier wurde offenbar,  dass Kroatien eine tief gespaltete Gesellschaft ist.

Angesichts dessen sind die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Kroatien 2011 interessant. 4,54 Prozent der Gesamtbevölkerung bezeichneten sich als Serben, aber  nur 1,23 Prozent ihre Sprache Serbisch. Das bedeutet, dass jeder vierte Serbe Serbisch als Muttersprache pflegt.

Das verwundert nicht, da die überwiegende Mehrheit der in Kroatien lebenden Serben keineswegs Serbisch spricht wie in Serbien, sondern von Alters her Kroatisch. Auch ist ihnen die kyrillische Schrift nicht geläufig.  In der kommunistischen Verfassung von 1974 wurde die Dienstsprache in der Teilrepublik Kroatien wie folgt definiert: „Die offizielle Sprache in der Sozialistischen Republik Kroatien ist die kroatische Literatursprache, die Sprache von Kroaten und von Serben in Kroatien…“

In der vor 22 Jahren eingeführten demokratischen Verfassung wurde Kroatisch als die offizielle Sprache bestimmt. Jedoch dürfen die nationalen Minderheiten, darunter auch die serbische, ihre Sprachen gebrauchen, ohne dass dabei die zwischennationalen Beziehungen gestört werden.

Der oben genannte „Stab“ fordert ein Moratorium für Vukovar  über einen Zeitraum von zwanzig Jahren, um Serbisch und die kyrillische Schrift einzuführen. Unlängst wurden für das dafür vorgesehene Referendum Unterschriften gesammelt.

Dieses wäre nicht notwendig, würde  das rot-gelbe Regime in Kroatien mit mehr Sensibilität auf die Belange der geschundenen Vukovarer Bevölkerung eingehen. Dem ist leider nicht so. Dabei leidet Vukovar unter einer wirtschaftlichen Auszehrung und Auswanderung, besonders von jungen Menschen.

nige der dortigen Kroaten mutmaßen eine serbische Unterwanderung der Stadt gemäß den Worten des serbischen Präsidenten Nikolić, der vor einigen Monaten „Vukovar eine serbische Stadt“ nannte. Einer der führenden Kroaten in Vukovar meinte dazu, dass in etwa zwanzig Jahren diese Stadt „ohne einen einzigen Schuss in serbische Hände fallen wird“.

Ein ex-jugoslawischer „Stasi-Offizier“ stört die kroatisch-deutschen Beziehungen

Als vor einigen Jahren ein gewisser Krunoslav Prates vom Münchener Oberlandesgericht zur lebenslangen Gefängnisstrafe wegen Beihilfe zum Mord an dem kroatischen Emigranten Stjepan Đureković in Deutschland verurteilt wurde, fiel in der Urteilsbegründung auch der Name von Josip Perković als einem Verbindungsmann zur jugoslawischen Geheimpolizei UDB. Perković war in der jugoslawischen „Stasi“ jahrelang für „geheime Operationen“ gegen die kroatische politische Emigration zuständig.

Das Gericht in München fand heraus, dass ein Teil des jugoslawischen Geheimdienstes unmittelbar Jugoslawiens Präsidenten Josip Broz Tito unterstellt war. Nach dessen Tod übernahmen diese Befehlsgewalt die Parteispitzen in den Teilrepubliken, die wiederum entlassene Kriminelle befehligten, Morde an Emigranten zu verüben.

Perković wurde danach mit internationalem Haftbefehl gesucht. Da er nach der Verselbstständigung Kroatiens im kroatischen Verteidigungsministerium arbeitete (ähnlich früheren Nazis im Nachkriegsdeutschland) und das kroatische Recht eine Auslieferung an Fremdstaaten nicht erlaubte, blieb Perković unbehelligt in Zagreb.

Das änderte sich, als die kroatischen Behörden einen europäischen Haftbefehl erhielten. Jedoch nur drei Tage vor dem Eintritt Kroatiens in die EU begrenzte das kroatische Parlament die Gültigkeit des Gesetzes über die europäische Zusammenarbeit der Justiz zeitlich, nämlich auf Taten nach dem Jahr 2002.

Schwere Erbe früheren Kommunisten

Damit blieb Perković von dem europäischen Haftbefehl verschont, da die Ermordung Đurekovićs lange vorher geschah. Die kurzfristige Gesetzesänderung  rief einen Sturm der Entrüstung in der Europäischen Kommission hervor.  Die zuständige EU-Justizkommissarin,  Viviane Redig, war außer sich und drohte Kroatien mit Konsequenzen.

Eine davon wäre die Streichung von 80 Millionen Euro für die Sicherung der Schengen-Grenze in Kroatien. Der kroatische Ministerpräsident Milanović antwortete Viviane Redig mit den Worten, Kroatien lasse sich nicht zum „Putzlappen“ machen. Dieser unverständliche Affront gegen die EU-Kommission und Deutschland  hat eine tiefere Dimension und steht nur begrenzt mit dem „Fall Perković“ in Zusammenhang.

Das Münchener Gericht hat zweifelsfrei festgestellt, dass der jugoslawische Präsident Tito und später die Parteiführungen der jugoslawischen Teilrepubliken verantwortlich sind für die etwa 65 Morde an kroatischen Emigranten im Ausland.

Die heutige Sozialdemokratische Partei Kroatiens ist unmittelbare Nachfolgerin des Bundes der Kommunisten und ihr Vorsitzender und Ministerpräsident Milanović nach wie vor Bewunderer Titos. Tatsachen, die in diesem Zusammenhang für sich sprechen.

Außerdem werden in der kroatischen Verfassung mehrere kommunistische Parlamente als Träger der kroatischen Souveränität genannt. In einem Prozess gegen Perković würde diese Sachlage in die Weltöffentlichkeit gelangen und sowohl die Sozialdemokratische Partei in Kroatien als auch das dortige Parlament zwingen, sich politisch und verfassungsmäßig umzuorientieren.

Milanovićs Partei muss sich von ihrer kommunistischen Vorgängerin distanzieren und in der kroatischen Verfassung alle Bezüge  zu kommunistischen Parlamente kappen, da diese ohnehin nicht demokratisch legitimiert waren.

Solche Schritte scheuen die herrschenden sozialistischen Machthaber in Kroatien und wollen deswegen den Prozess gegen Perković in Zagreb stattfinden lassen.  Dabei würde mutmaßlich der politische Hintergrund seiner Tätigkeit im Ausland ausgeblendet.

Der europäische Haftbefehl gegen Perković ist jedoch nach wie vor gültig, und Kroatien müßte ihn spätestens nach dem 1. Januar 2014 befolgen. Wenn nicht, drohen Kroatien große Schwierigkeiten mit der Kommission der EU.  Indes hat Brüssel genügend Druckmittel, um Zagreb umzustimmen.

 

 

 

 

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