NOBELPREIS-VERLEIHUNG 2019

Halb korrekt und halb mutig – die Literaturnobelpreise 2018 und 2019 gehen an Olga Tokarczuk und Peter Handke

tekst: Ivica Košak
kosakÜber die literarische Gerechtigkeit und/oder Rechtfertigung von Autoren lässt sich hervorragend streiten. Und man tut es. Ausgiebig.

Klar, eine Preisverleihung ist immer eine Aberkennung desselben an die Anderen.

Das ausgerechnet Peter Handke, ein österreichisch-slowenischer Autor, den Nebelpreis für Literatur erhielt, mag einigen (und nicht wenigen) als ein Skandal erscheinen.

Die, die die Meinung vertreten, dass Peter Handke für den Nobelpreis nicht preiswürdig ist, weil er angeblich den Srebrenica-Massenmord relativiert, haben Handke nicht gelesen. Hier ist vorab eine Klärung der Sachverhalte nötig: Handke war und ist trotz aller Parteinahme für Serbien kein Srebrenica-Leugner, und selbst dann wäre er noch nicht automatisch jemand, der die Shoah relativiert.

Der Hintergrund ist folgender: Die Annahme eines Genozids an den bosnischen Muslimen im „Bosnien-Krieg“, das von der US-amerikanischen PR-Agentur Ruder Finn verbreitete Synonym Serben = Nazis, sowie das in Den Haag als Genozid bezeichnete Massaker von Srebrenica spielen in der Jugoslawien-Debatte vor allem unter Befürwortern westlicher Interventionspolitik eine zentrale Rolle.

Problematisch ist neben der UN-Definition von Genozid, die auf zahlreiche Kriegsverbrechen weltweit anwendbar wäre, dass die Aussage unscharf und fast unverbindlich ist. Ausgehend vom Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes und dem aktuellen Stand des Völkergewohnheitsrechts sind die Grundlagen und der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts sowie die einzelnen Völkerrechtsverbrechen hinreichend bekannt und international akzeptiert.  Und für die, die daran halten mögen, auch verbindlich. Der Völkermord, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, jegliche Art von Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression sind geächtet.

Dass aber die Bezeichnung Völkermord gerade im deutschen Sprachraum mit der planmäßigen Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten assoziiert wird, erschwert es jedem deutschsprachigen Autor sich für oder gegen der Definition Serben = Nazis zu äußern. Nicht der Vergleich selbst, sondern die suggerierte Gleichsetzung der realen Völkermorde des Zweiten Weltkrieges oder, in anderer und auch zahlenmäßig abgeschwächter Form, von Ruanda 1994 mit dem behaupteten Völkermord an den bosnischen Muslimen sowie dem Massaker von Srebrenica führte erst zu jenen fragwürdigen Revisionismus-Unterstellungen, die in der Handke-Debatte bei Kritikern allgegenwärtig sind. Wer den bosnischen Genozid leugnet, leugnet Srebrenica, und wer das abstreitet, leugnet also auch den deutschen Völkermord. Peter Handke hat wiederholt auf diese Gefahr der Relativierung der Holocaust hingewiesen.

Handke stellt sich gegen die Vorverurteilung, und da leistet sein Werk Wesentliches für den Anspruch auf Gerechtigkeit. Während Journalisten über die aktuelle Lage berichteten, erforschte er, der Dichter, das Dritte, dieses Neben draußen, jenes neben den Brennpunkten des Kriegstheaters Existierende Realität. Und diese Realität ist mehrdeutig. Journalistische Erzählung dagegen, setzt Eindeutigkeit voraus. Die entgegengehaltene Mehrdeutigkeit in der Literatur fordert den Leser heraus.

Handke provozierte durch seine zugespitzten Interview-Aussagen, in denen er sich bisweilen dem sachlichen Gespräch entzog und stattdessen mit Polemik, Ironie und Sarkasmus reagierte. Nicht desto trotz entbindet dies niemanden von einer fairen Beurteilung. Den Autor Handke auf seine serbienafilen Auftritte zu reduzieren ist unfair.

Und wäre die Handke-Mediale-Auseinandersetzung mit ihm als Sündenbock eine Strategie zur Ablenkung der Medien von berechtigter Kritik an der Berichterstattung im Umgang mit einem europäischen Konflikt, wie Jugoslawien interpretiert wird zu sehen?

Deshalb ist die Diskussion um die Nobelpreis-Verleihung 2019 halb korrekt und halb mutig: mit Olga Tokarczuk gewinnt einer der großen Favoriten der Buchmacher und eine Autorin, die so etwas wie einen polnischen magischen Realismus mit christlicher Grundierung erfunden hat.

Die Entscheidung für Peter Handke ist entschieden mutiger: Er hat sich international viele Feinde zugezogen mit seiner Verteidigung Serbiens in den Jugoslawienkriegen.

Aber mehr Dichter als Handke geht nicht.

Darum ein Preis für echte Literatur – ohne Hintergedanken.

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