YOU ARE VERY WELCOME!

VON WEGEN TYPISCH DEUTSCH
von: Frank Poschmann
PROLOG “You are very welcome“. Wie oft wurde ich auf meiner diesjährigen Radreise so begrüßt? Ob in der Metropole Sofia oder in Russe an der Donau, in Negotin kurz hinter der serbischen Grenze oder in einer lauten Kneipe in Pancevo. „You are very welcome!“ Wie angenehm klingt dieser Gruß in der Fremde. Und es handelte sich zumeist nicht um eine hohle Phrase, nein, immer wieder wurde mir aufrichtige Hilfe zuteil. Ich denke an Tanja, eine junge Frau aus Orjahovo, Bulgarien. Stundenlang bemühte sie sich mir eine Unterkunft zu besorgen, letztendlich mit Erfolg. Und ich denke, die Suche konnte nur erfolgreich sein, denn Hartnäckigkeit war wohl ein Charakterzug dieses Wesens. Meinen aufrichtigen Dank konnte ich kaum zeigen. „You are very welcome“ im, aufgrund eines Jugendfussballfestivals, total überfüllten Hotels im südungarischen Kaposvar. Aber von der Angestellten an der Rezeption wurden zig Telefonate geführt mir doch noch eine Bleibe zu besorgen, was natürlich gelang. Ich war eben, so zumindest mein Empfinden, „very welcome“. Auf meinen Reisen begegnet mir immer wieder eine, von mir dankbar angenommene, enorme Gastfreundschaft. Und Gastfreundschaft hat nichts mit materiellem Reichtum zu tun. Es sind gerade die einfachen, nicht so gut betuchten Menschen, welche mir zeigen, dass sie das Herz am rechten Fleck haben. Nicht Luxus oder ausschweifendes Leben, nicht die Jagd nach dem täglichen Spektakel, nach scheinbaren oder auch wirklichen Sensationen, nicht diese wahnsinnige Sucht nach sogenannten Einmaligkeiten, nein, die kleinen, aber ehrlich gemeinten
Gesten der Menschen welche meinen Weg kreuzten ließen in mir das Gefühl wachsen von: „I am very welcome“. Und so kann die Reise beginnen.

Do. 26.06.2008
Um 4 Uhr in der Frühe rappelt der Wecker. Auch wenn es erst um 5 Uhr losgeht
zum Flughafen nach Dortmund stehe ich doch frühzeitig auf, ein ausgedehntes, ruhiges Frühstück ist es allemal wert. Der Wagen ist gepackt. Mein Fahrrad, ein großer Karton für eben dieses und ein 18er Weinkarton mit meinen gutsortierten Packtaschen. Doris und Edda bringen mich zum Airport. Dort verstauen wir erst einmal das Fahrrad in sein Behältnis, Sondergepäck, und geben das restliche Gepäck auf. Das Abschiednehmen kostet einige Zeit und ist eben nicht wie André Heller singt, immer auch ein kleiner Tod, sondern erscheint mir vielmehr wie ein neues Kennenlernen.

Für die nächsten Wochen bin ich nun auf mich alleine gestellt und empfinde entsprechend eine gewisse Unsicherheit. Aber keine, welche Angst macht, welche mich nur vorsichtig nach links und rechts sehen lässt, sondern eine Unsicherheit die als Öffner, Verstärker und Intensivator der Sinne dient.
Mit dem Handgepäck gibt es noch einige Schwierigkeiten. Der Schraubenschlüssel, der mir zum Herrichten meines Fahrrades in Sofia dienen soll, erregt bei dem Sicherheitspersonal Argwohn. So sehe ich mich genötigt das Handgepäck ebenfalls als reguläres Gepäck aufzugeben. Der Spaß kostet 15 Euro. So gehe ich lediglich mit dem Fahrradhelm an der Hand an Bord der „Wizz Air“ Maschine. Start um 8.20 Uhr. Landung in Sofia um 11.30 Uhr Ortszeit unter enormen Applaus der zumeist bulgarischen Fluggäste. Es herrscht kontinentale Hitze. Den Karton mit meinem Gepäck bekomme ich problemlos. Aber wo ist mein Fahrrad? Die Ankunftshalle ist mittlerweile menschenleer.

Nach einigem Suche nehme ich einen „Offiziellen“ wahr. Wo bitte ist mein Fahrrad? Es wird hin und her telefoniert. Warten. Was soll ich ohne mein Rad hier anstellen? Ist es von dieser „Billig Airline“ an den richtigen Ort verbracht worden? Endlich, ich werde aufgefordert dem „Offiziellen“ in ein anderes Flughafengebäude zu folgen. Dort nehme ich erleichtert an einem Sondergepäckschalter mein verpacktes Fahrzeug entgegen. „You are very welcome“, der „Offizielle“ verabschiedet sich. Ich richte mein Gefährt her, bringe Pedale und Gepäck an, befülle die Reifen provisorisch mit der kleinen Handpumpe. Alles unter den neugierigen Augen eines Polizisten. Auch eine Reinigungsfrau sieht mein Treiben und hilft mir ungefragt beim entsorgen der nun überflüssigen Kartons.

So geht es um 13 Uhr am Flughafen los, in die Innenstadt Sofias, meiner vorgebuchten Unterkunft entgegen.
An der ersten Tankstelle lasse ich die Reifen des Rades auf 4 Atüe aufpumpen, kann mich aber wegen fehlendem bulgarischen Geldes nicht erkenntlich zeigen. Mit meiner Bankkarte kann ich wenigstens eine dringend benötigte Flasche Wasser kaufen, lediglich ein Centbetrag. 2 Stunden benötige ich durch die Hitze der unbekannten Großstadt, mit zumeist in kyrillischer Schrift gehaltenen Straßenschildern, um mein kleines, preiswertes, zentral gelegenes Hostel „The Rooms“ zu finden. Freundlich werde ich von den jungen Leuten empfangen, mazedonische Studenten leiten die Herberge. Jetzt aber erst mal Geld und Telefonkarten besorgen. 2 Lewa sind 1 Euro. Es folgt ein Gang durch das geschäftige Zentrum der Millionenmetropole (ca. 1,1 Mio Einw.). Ein riesiger, belebter Markt weckt meine  Aufmerksamkeit.
An unzähligen Ständen wird alles Erdenkliche feilgeboten. Märkte sind so etwas wie die Seele eines Ortes. Zum Rasten besuche ich eine kleine Kneipe am Rande des Marktes. Bier und Kotelett. Seit dem Frühstück die erste richtige Nahrung. Abends bin ich ganz schön platt. Im schwül-heißem Klima besuche ich noch die „Sophia“ am Unabhängigkeits-Platz. Diese Statue würdigt die antike Göttin der Weisheit und ist heute Wahrzeichen der Stadt. Anlässlich der Millenniumsfeiern 2000 wurde sie vom bulgarischen Bildhauer Georg Chapkunov entworfen.

Zum Abendessen besuche ich ein kleines, aber zentral gelegenes Restaurant mit Außenbetrieb. Ich bestelle „Kavarma“, eine Art Auflauf mit Hühnerfilet, Pilzen, Tomaten, Zwiebeln …überbacken mit einem Spiegelei. Sehr sättigend, sehr deftig und sehr lecker! Hinterher noch ein Glas bulgarischenRotwein von Edoardo Miriglio, dicht und gewaltig, ein Vorgeschmack auf die Rotweine die mir in diesem Balkanland noch begegnen sollen. Im Hintergrund dringt aus einem Häuserblock intensiver Balkanblues. Es ist eine Schule in der Jugendliche sich in folkloristischen Gesängen und Tänzen üben. So langsam komme ich wieder zu Kräften, fühle mich wohl. Auch werde ich mutiger. In diesem Jahr fürchte ich einigermaßen körperliche Schwäche, fühle ich mich nicht so stark wie auf den letzten Touren. Auch macht mein Rücken Probleme. Mal sehen. Morgen jedenfalls werde ich Sofia in aller Ruhe auf mich wirken lassen und mich um Reiseproviant kümmern.

 

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Tobias
12 years ago

Gut gefuehrter Blog, gefaellt mir super. Auch tolle Themen.