VUKOVAR …EIN MYTHOS (Teil 2)

Mein Herz schlägt kroatisch

Eine Reportage von Dirk Guhl
Foto 3 (1)Warum ist das eigentlich dann kein offizieller Feiertag wenn vielen Leuten dieser Tag so wertvoll ist? Ich stelle mir auch die Frage, was wird hier am Tag danach sein?

Als der seltsame schweigende Zug die Innenstadt von Vukovar erreicht wird dem Betrachter erst so richtig bewusst, welche Menge von Menschen hier ist.

In den Cafes der Stadt ist kein Platz zu finden. Alles voll. Im Gegensatz zum Marsch herrscht hier freudige Stimmung. Man lacht hat Spaß und genießt den Tag auf seine Weise. Modernes Gedenken.

Ich verlasse den Zug und begebe mich zum Mahnmal mit dem Kreuz an der Donau. Hier wurden schon viele Kränze niedergelegt und Kerzen angezündet. Einige Menschen sind hier und gedenken friedlich der Opfer.

Hier steht das Gedenken und die Erinnerung im Vordergrund. Kein Hass und kein Protest. Ich gehe weiter durch die Stadt und beobachte den Marsch durch Vukovar.

Irgendwie ist der merklich kleiner geworden. Viele haben sich schon in die Cafes verzogen oder wohin auch immer. Auf jeden Fall hat sich nach 2 km der Charakter des Zuges komplett geändert. Jetzt ist er einfach nur ein friedlicher Marsch.

Es ist kein Hass mehr zu spüren. Viele Menschen haben Rosen und Kerzen in der Hand.

Söhne stützen ihre Väter beim gehen. Frauen Erinnern mit Bildern an ihre gestorbenen Männer. Man hat ein gemeinsames Ziel – den Friedhof vor den Toren der Stadt.

Auf den Weg dorthin tauchen auch erste Protestplakate auf die im weiteren Verlauf immer mehr werden. Jetzt ist es auch der von vielen erwartete Protestzug geworden. Man protestiert gegen die eigene Regierung!

Es hat fast Volksfestcharakter

1393642_547413915340170_873312144_nAm Wasserturm, dem international bekannten Wahrzeichen von Vukovar ist erstaunlicher Weise nichts los. Ein paar Leute lassen sich fotografieren. Hier hätte ich mehr erwartet.

Ich erweile hier kurz und gedenke. Dann reihe ich mich wieder in die Kolonne ein. Wer noch keine Kerze oder Rose hat kann sie überall am Straßenrand kaufen, genauso wie Schals und T-Shirts.

Es ist der komplette Kommerz. Junge Kroatinnen haben sich eine Fahne über die Schulter gelegt und lassen sich für 10 Kuna fotografieren. Überall gibt es Gelegenheiten zu essen und zu trinken.

Es gibt kostenlos Glühwein und Tee mit Rum. Es hat fast Volksfestcharakter. Die Leute trauern nicht mehr sondern sie Erinnern an die damaligen Ereignisse.

Auf dem Weg links und rechts stehen Kerzen. Alte Frauen beten und segnen den Zug. Hier fühle ich was den meisten Kroaten dieser Tag wirklich bedeutet: Gedenken an die Opfer! Viele hier haben hier persönliche Erinnerungen an gefallenen Familienangehörige.

1452209_547581318656763_711179109_nSchließlich erreiche ich den Friedhof. Ich gehe zu den Kreuzen. Ich stelle meine Kerze an ein freies Kreuz und lege meine rote Rose dazu. Es ist mein Rose und meine Kerze für Kroatien.

Mein Herz schlägt kroatisch

Tränen in meinen Augen. In diesem Moment spüre ich es wieder – mein Herz schlägt kroatisch! Ich fühle mich als ein Teil dieses Landes. Minuten lang verharre ich so und denke an die letzten 33 Jahre.

In mir ziehen all die Bilder vorüber. Diese haben nichts mit dem Krieg in Vukovar zu tun. Ich denke an das Land Kroatien und seine lieben Menschen. Es ist mein persönliches stilles Gedenken an das Land meiner Träume, dem ich mein Leben verdanke und das im Schicksal von Slawonien enden wird.

In diesem Moment fließen meine Tränen besonders stark- denn ich denke an Anči!

1453515_547414335340128_89268005_nDie Sonne scheint. Es ist ein besonders ergreifender Anblick. Viele sitzen und reden auf den Gräbern. Lassen sich vor den Kreuzen fotografieren. Jeder hat seine persönlichen Erinnerungen und Rituale.

Es ist einfach toll was sich hier abspielt. Der Protest und die Trauer ist gewichen. Ich habe den Eindruck viele sind stolz hier zu sein.

Auf einer Bühne findet ein Gottesdienst statt. Ich entscheide mich zur Kranzniederlegung zu gehen. Minister, Präsidenten usw. alle sind da.

Auch Ante Gotovina.

Da kommt endlich mal ein bisschen Bewegung und Emotion in die Massen.

Generale, Generale… rufen einige. Ich hatte auch erwartet, dass er kommt. Für viele kam es aber eher überraschend. Nach einer Stunde verlasse ich den Friedhof und gehe zurück in die Stadt.

Nichts ist mehr abgesperrt. Überall am Rand liegt der Müll. Die Kerzen und alles liegt da so da. Ich denke mir morgen wird das weggekehrt und es ist nichts weiter gewesen.

Bis nächstes Jahr wenn der Mythos Vukovar wieder inszeniert wird.

Nachmittag erreiche ich die Stadt und es herrscht gute Stimmung in den völlig überfüllten Cafes. Nichts erinnert mehr an die Veranstaltung von heute früh. Selbst am Krankenhaus ist alles wieder abgebaut. Es herrscht Normalzustand.

Ansonsten bleibt es friedlich

1453515_547414325340129_964785313_nLediglich ein paar betrunkene unverbesserliche singen in einem Restaurant alte fremdenfeindliche Lieder. Ansonsten bleibt es friedlich.

Jetzt feiern die Einwohner der Stadt “ihren” Tag.  Und ich finde zurecht! Ich denke die Erinnerung muss gepflegt werden. Es ist wichtig diese aufrecht zu erhalten. Aber ich glaube auch, dass in einem vereinten Europa irgendwann in ein paar Jahren hier auch keine EU -Außengrenze mehr sein wird sondern wir uns mitten in Europa befinden zu dem auch der Nachbar Serbien gehört.

1456779_547413448673550_928116554_nIch habe mich den ganzen Tag gefragt wo denn die immerhin 35% Serben, die in Vukovar leben sind …was die heute machen und was die denken. Ich habe auf vielen Plakaten und in Gesprächen ohnehin erfahren, dass die Serben nicht das Problem hier sind sondern vielmehr die Spaltung der kroatischen Nation. Die Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung und der eigenen Situation.

An dieser Stelle möchte ich ein Zitat eines kroatischen Mannes anfügen, welches er mir mangels Sprachkenntnisse beiderseits so in mein i Pad geschrieben hat:

-na vlasti su ljevičari koji zastupaju manjinska prava, srpska i njihovu ćirilicu, to nikako ne odgovara opoziciji i desničarima … isti ti se služe narodom i nacionalizmom za svoje ciljeve… ja osobno ne idem tamo jer sam svoj doprinos dao u ratu a politika me ne zanima i smeta mi podjela među Hrvatima, nisu problem Srbi nego mi sami sa sobom nismo jos riješili stare dugove…

Mein Fazit des Tages:

Es war faszinierend was ich erlebt habe. Ich bin stolz darauf das einmal miterlebt zu haben, ein Teil dieser Nation zu sein.

Ich habe einen Eindruck bekommen, was dem kroatischen Volk dieser Tag bedeutet. Ich war Zeuge einer stillen Trauer und ehrlichen Gedenkens. Ich habe viele unterschiedliche Menschen gesehen, genauso unterschiedlich wie die Motive an diesem Marsch teilzunehmen.

Ich habe viele bewegende Momente erlebt, die ich in mir behalten werde.

Es ist nicht das gewesen, was ich mir vorgestellt habe

1470015_547415842006644_1753749628_nAber es ist auch nicht das gewesen, was ich mir vorgestellt habe oder was man aufgrund medialer Vorberichterstattung erwarten konnte. Zum Glück blieben Gewaltaktionen aus.

Von den (PR mäßig) angekündigten 100.000 Leuten waren seriös gesagt vielleicht max. 60.000 da. Es gab auch nicht die befürchteten Ausschreitungen, die viele erwartet hatten aufgrund des Problems mit den kyrillischen Amtsschildern oder dem anstehenden Referendum.

Es waren einige bewegende Stunden über die im Vorfeld viel diskutiert wurde. Ich habe den ehrlichen Eindruck, dass vielen Kroaten die eigentlichen Probleme im Land wichtiger sind.

Wenn alle die, die nach Vukovar gefahren sind diese gemeinsam anpacken kann viel verbessert werden im Land. Ich habe ferner den Eindruck gewonnen, dass aufgrund der vielen Jahre sich die Tradition des Marsches stark abgenutzt hat.

Zuviel Kommerz ist darum entstanden. Das ehrlichste Gedenken an die Opfer war auf dem Friedhof an sich. Der gespenstische Zug und die in Armee-Look gekleideten Leute sind sicher eine Tradition, aber nicht mehr zeitgemäß.

Ganz zu schweigen von den Kosten die der finanziell angeschlagene kroatische Staat jedes Jahr dafür übernehmen muss.

In besonderer Erinnerung ist mir die Mehrheit der Leute geblieben, die still und ehrlich am Friedhof der Opfer gedacht haben und danach in den Cafes “ihren Tag und ihre Stadt Vukovar” gefeiert haben.

Ich glaube damit haben sich viele Kroaten selbst die Antwort gegeben auf die Frage welche Bedeutung in der Zukunft dieser Tag in einem vereinten Europa haben wird.

Hierzu auch noch Teil 1 und die Web-Seite des Autors: Anči – der Weg (m)einer Liebe

0 0 votes
Article Rating

Related Post

Subscribe
Notify of
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments