Nach dem Referendum ist vor dem Referendum
von: Dirk Guhl
Die Kroaten werden so langsam ein entscheidungswilliges Volk! Das bin ich bislang gar nicht so von ihnen gewohnt. Meistens nimmt man hier alles hin und ergibt sich seinem Schicksal mit einer relativen Gelassenheit,
Doch nicht so am Ende diesen Jahres. Die kroatische Bevölkerung fordert ihr Recht auf Mitbestimmung was in Anbetracht der derzeitigen wirtschaftlichen Situation verständlich und lobenswert ist. Nur sind die Themen über die abgestimmt werden soll ganz anderer Natur und haben nicht wirklich mit der schlechten Lebenssituation im Land zu tun.
Am 1.12. entscheiden die Kroaten darüber ob im Grundgesetz ein Passus festgeschrieben wird, der die Ehe als einzige lebenslange Verbindung zwischen Mann und Frau festschreibt, also jede rechtliche Verbindung von Homosexualität untersagt.
Ein weiteres Referendum ist schon in Arbeit. Überall im Land sammelt man Unterschriften gegen die kyrillischen Schriften auf Amtstafeln in Städten wo über 30% Serben leben.
Ein Politikum auf höchstem Niveau
Für mich, der ich sehr tolerant und weltoffen eingestellt bin, ist das einfach schwer nachzuvollziehen in einer modernen globalisierten Welt über solche Themen überhaupt noch nachzudenken geschweige denn darüber in einem Referendum abzustimmen.
Doch nicht so hier und gerade jetzt im katholischen Kroatien. Hier ist es ein Politikum auf höchstem Niveau. Solche “Probleme” sollen ablenken von den eigentlichen im Land aber im Gegenteil , sie decken diese direkt auf: Die Tiefe Spaltung des kroatischen Volkes die man hier überall fühlen kann.
Die Unzufriedenheit mit der Regierung, die wieder erstarkten rechtsnationalen Gedanken und das alles verbunden mit einer überdimensionalen Macht der Kirche.
za ili protiv?
Bei diesem Referendum geht es um mehr als nur um das eigentliche Thema. Es geht vielen um einen politischen Wechsel im Land. Viele wollen dadurch der Regierung zeigen, dass Kroatien mehrheitlich von rechten und nationalistischen Themen regiert werden soll. Es ist auch, bei diesem Thema verständlich, ein Machtkampf zwischen Kirche und Regierung.
Diesen bedenklichen Ruck nach rechts spüre ich gerade hier in Slavonien im Moment wieder sehr stark. Auch hat hier die katholische Kirche sehr, sehr starken Einfluss. Die Menschen leben und denken hier sehr einfach. Deshalb mag ich die Leute hier eben besonders. Aber in dieser Situation ist das auch mehr als gefährlich. Denn von der Kirche geht dieses Referendum aus. Unabhängig unter welchen Umständen die 700 Tsd. Stimmen für das Referendum herkommen, Fakt ist, es wird abgestimmt mit einem offenen Ergebnis…
Und in Kroatien ist das Ergebnis bindend egal wieviel Leute am Referendum teilnehmen. Und das ist die eigentliche Gefahr!
Rot ist suspekt
Die Kirche konnte ihre Anhänger stark mobilisieren. Die Gegner werden das Problem haben, dass viele Leute im ganzen Land das Thema gar nicht interessiert und einfach nicht zur Wahl gehen.
Im Internet läuft derzeit eine Umfrage: 65 % dagegen und 35 % dafür!
Das ist nicht repräsentativ, da viele Kroaten kein Internet haben. Landesweite Umfragen sehen derzeit ein Verhältnis 48:52. Also sehr eng. Und genau so ist die Stimmung zwei Tage vorher.
Ich habe gemerkt, dass gerade Gegner des Referendums ihre Facebook-Profile wegen öffentlichen Anfeindungen gelöscht haben! Rot (protiv-dagegen) ist derzeit sehr suspekt, besonders hier im Landesinneren. Ich habe mit einigen Leuten gesprochen und habe unterschiedliche Meinungen gehört. Journalisten, Radioreporter, Menschen die schon einmal in Europa waren oder in den grossen Städten leben geben alles für “protiv”.
Auch zahlreiche Stars aus der Musikbranche oder dem Sport empfehlen “protiv” zu stimmen! Allen voran heute Severina, eine auf dem ganzen Balkan bekannte Sängerin. Aber ich habe mich auch mit den einfachen Leuten hier in Pozega unterhalten. Für viele ist das eine Frage des Glaubens. Sie akzeptieren da einfach keine andere Meinung und stimmen mit “Za”.
Tradition und Religion – zwei Dinge die im Landesinneren noch immer das kroatische Denken und Handeln bestimmen. Und das bei alten und jungen Leuten. Leider! Ich merke deutlich was der Bevölkerung hier fehlt – der Austausch zwischen den Kulturen wie ihn die Menschen an der Küste durch den Tourismus seit Jahrzehnten haben.
Die meisten aber mit denen ich gesprochen habe interessiert das Thema überhaupt nicht. Sie fragen mich dann was ist wichtiger, dass ich meine Heizung für den Winter oder das Essen für meine Familie bezahlen kann oder so eine Abstimmung? Und da haben sie Recht! Denn das sind wahre Probleme von denen ich mich gerade selbst hier überzeugen kann.
Wille des Volkes
Die Parteien in Zagreb haben verboten ihren Mitgliedern zu sagen wie sie wählen werden. Wahlkampf findet hier nicht öffentlich statt sondern heimlich still und leise. Das hat mich verwundert. Bis wenige Tage vorher hat man auch außer ein paar überschaubaren Protesten in den Städten nichts gesehen oder gehört, keine Plakate – nichts. Heute 2 Tage vorher werden über Radio und Zeitung die Leute lokal informiert wo und wann sie abstimmen dürfen. Da kommt nicht monatelang vorher wie in Deutschland eine Wahlbenachrichtigung.
Ich selbst werde mir am Sonntag, wenn man mich lässt, hier in Kutjevo das ganze Prozedere mal anschauen.
Auf alle Fälle schaut nach den Vorfällen vom WM-Qualifikationsspiel und den Provokationen von Zagreb letzte Woche ganz Europa nach Kroatien.
Dem EU-Neuling kommt eine spezielle Rolle zu, insbesondere als Vorbildwirkung für den restlichen Balkan, wo das Thema Homosexualität in einigen Ländern noch militantere Züge aufweist. Aber vielmehr schaut Europa darauf wie das Land sich einem modernen Europa öffnet.
Und hier kommt der Bevölkerung in der liberal eingestellten Küstenregion eine entscheidende Rolle zu. In Umfragen liegt dort der “Protiv”- Anteil bei fast 80%.
Egal wie das Referendum am Sonntag ausgeht, es ist der erste richtige Volksentscheid nach 1991 und es ist der Wille des gesamten kroatischen Volkes. Diese Entscheidung werden dann alle respektieren (müssen) in Kroatien und in Europa. Bis zum nächsten Referendum…
Liebe Manda, du hast Recht. Kutjevo und besonders seine lieben und hilfsbereiten Menschen machen diesen Ort zu dem was er ist. Und das ist auch der Grund warum ich hier bin. Kutjevo hat mich verzaubert und ich habe mich in Kutjevo verliebt. Ich fahre seit 33 Jahren quer durch Kroatien und habe das ganze Land gesehen. Für mich ist es mittlerweile der schönste Fleck in ganz Kroatien. Hier habe ich mein Herz verloren. Deshalb schreibe ich auch mein Buch speziell über Kutjevo und seine einfachen, ehrlichen und authentischen Menschen. Mit Sorge sehe ich genau wie du die Entwicklung und Einstellung… Read more »
Sehr geehrter Herr Guhl, Kutjevo ist eine besondere Stadt, wenn man es eine Stadt nennen kann. Wenn man in Not ist, zeigt sich der echte Charakter der Menschen hier. Da liegt die eigentliche Kraft der Stadt. Dann sieht man, wie gut und hilfsbereit die Bewohner von Kutjevo sind. Wenn es sich aber um Einstellungen und Traditionsgebundenheit handelt, lässt es sich noch darüber reden. Ich kenne viele ältere Mitbürger, die, obwohl im reifen Alter (oder gerade deswegen), doch offen und tolerant sind. Ich glaube, dass es hier keinen so großen Unterschied im Vergleich zu den Großstädten oder zu dem Küstengebiet, die… Read more »
Dirk Guhl je svakako ovdje naveo mnogo istinitih stvari. Slazem se u mnogo cemu sa njim ali kad je vec naveo i onih 30% srba u gradovima, mogao je napisati da je u pitanju samo Vukovar a ne svi gradovi, ili recimo da nam je napisao kolika je kvota u EU i Njemackoj za dvojezicnost. Koliko ja znam 50% ili grijesim??? U svakom slucaju ne slazem se sa sa cijelim tekstom iako tvrdim da je napisao puno istine!!!