DER BRIEF AUS SARAJEVO

Erwartungen.
piše: Anja Breljak

In der Republika Srpska hat Ministerpräsident Dodik einen Medienboykott gegenüber den föderalen Medien angeordnet. Mehrere Zehntausend KM hätte er an Schulden gegenüber dem föderalen Fernsehsender FTV. Entschädigungszahlungen. Verleumdung war der Grund seiner abgeschmetterten Klagen, Korruption und Hinterziehung der Grund für die Berichte.
Sie zieht zum nächsten Thema:
Karadzic und Šešelj grinsen breit von den blauen Hemden zweier junger Männer, beides Sportler, beide waren im bosnischen Olympia-Team. Und sie bleiben es auch: Suspendiert für drei Monate. “Nur!”, rutscht es entrüstet aus der Moderatorin. Dann:
Geschändete muslimische Grabsteine. Straßenschilder, überklebt mit der Aufschrift  “Boulevard Ratko Mladić” zu dessen Geburtstag.
Die bosnische HDZ (Kroatische Demokratische Union) beklagt die Situtation der Kroaten in Bosnien. Und die Miljacka fließt sanft und friedlich durch Sarajevo, und spuckt an jedem ihrer kleinen Wasserfälle bunte Gummibälle und Plastikflaschen in die Luft. Ein 23-Jähriger wird nach einem Streit auf einer ihrer Brücken von zwei Gleichaltrigen erschossen.
Erster Frühlingstag.
In Sarajevo werden die zentrale Heizungen abgestellt. Alles, wie erwartet. Die bosnischen Politiker sind korrupt, die Pressefreiheit fraglich, so wie auch die Korrektheit der Presse, Kriegsverbrecher werden als große Helden gehandelt, die Ethnien bekunden eindringlich ihren gegenseitigen Hass und zeigen das mit aller Gewalt.

Ein bisschen müde macht es, diese vorraussagbare Endlosschleife. Und das schlägt sich auch im Stadtgespräch nieder: hin und wieder fliegt eine Spitze gegen den Vorsitzenden des Ministerrats, Spiric, gegen willkürliche Verhaftungen und Anschuldigungen, gegen die schwarzen Löcher im Portmonaie der Regierung, gegen die tollerierte organisierten Kriminalität, beim Friseur, in der Straßenbahn, im Seminarraum.
Und entweder wird der Kommentar mit einem Hilferuf an Gott oder Allah ausgesprochen oder ist verflochten in einen zynischen Spruch, der im Grunde doch nur ein Schutzwall ist. Die Moderatorin beendet die Sendung mit dem Satz: Was ist auch zu erwarten von einem Staat, in dem nichts funktioniert, wie es sollte.

Jede Funktion, jede der Rollen ist an Erwartungen geknüpft. Die Rolle der Schreibenden an Worte, die uns gefallen, die berühren.Die Rolle der Migrantin an Grammatikfehler und unpassende sprachliche Ausdrücke. Die Rolle der Kroatin and die katholische Kirche und ihre große Nation. Mir ist aufgefallen, dass ich die vordere Aufschrift meines Passes tief in den Boden drücke, wenn ich ihn hervorhole. Nicht aus Angst vor dem, was sich mir als Identität aufgehalst hat, sondern aus Angst vor dem, was andere dabei im Hals haben.
Dieser Mann, am Flughafen!!!
Er stand neben mir und starte wie irre auf dieses dumme Stück Papier und Pappe, auf diese dummen Buchstaben in Gold. Und wir stiegen ins Flugzeug,und ich setzte mich ans Fenster, und sah seine stierenden Augen auf mir. Diese zwei Stunden im Flugzeug verbrachte ich in einem wilden Halbtraum, darauf wartend, dass er etwas tut oder sagt, seine Augen durch meine Lieder hindurch sehend. Wartend, dass wir endlich landen.

Erwartungen haben mit der Zeit zu tun: wir warten auf den Augenblick bis sie eintreffen, sich endlich ereignen. Eine meiner ersten Erwartungen, an die ich mich bewusst erinnere, schlüpfte aus dem Kaffeesatz.
Es waren nahezu nur Frauen mit Kindern nach Hvar geflohen, heutzutage eine der bestbesuchtesten Touristeninseln in der Adria. In meiner Erinnerung bestand der Alltag der Erwachsenen aus Nachrichtenschauen, und zwar vor allem dann, wenn wir Dorothy und den Zauberer von Oz sehen wollten, und Kaffeetrinken. Außerdem pilgertenwir jeden Tag von unserer Unterbringung, dem Hotel Dalmacija,zum Hafen und musterten die Gesichter auf den einfahrenden Schiffen.
Türkischer Kaffee, warum auch immer er bei uns so heißt, hinterlässt einen dickflüssigen Satz am Boden der leeren Tasse. Dreht man sie also um, lässt sie einige Minuten auf dem Untersetzer stehen, rutscht der Satz in den eigenartigsten Formen die Tasse entlang.
Siehst du diese Straße und diesen Berg? Und diesen Punkt hier?
Das ist dein Vater, er kommt zurück und bringt viele Geschenke mit. Die Prophezeiung meiner älteren Cousine, die sich gerne als älter behauptete, indem sie die Älteren nachahmte, erfüllte sich.
Mein Vater kam tatsächlich zurück, aber statt der Geschenke hatte er eine Kugel in der Schulter.
Und ich war bitterlich enttäuscht.

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