DER BRIEF AUS SARAJEVO

Regeln…Regeln…
piše: Anja Breljak

Es gab einen Witz über akademische Regeln im sozialistischen Jugoslawien. Erstens: denke nicht. Zweitens: selbst wenn du denkst, dann schreib es nicht auf. Drittens: solltest du es doch aufschreiben, mache dir keine Gedanken um die Veröffentlichung. Das erledigt sich bei der nächsten Hausdurchsuchung von selbst.
„Ich weiß ja nicht, wie das in Berlin ist.“ So spricht mich der Professor aus der Vorlesung über die Geschichte der Philosophie immer an, wenn er eigentlich nur seine eigene Meinung über die Situation in Bosnien hören möchte. „Aber unsere Studenten sind von Grund auf faul und unwillig. Die Deutschen haben sich Disziplin eingeprügelt, hier muss das erst noch gemacht werden.“ Dabei nimmt er sich seine Anwesenheitsliste, ruft alle Namen auf, die sich vor der Pause eingetragen haben und streicht diejenigen weg, die Kaffeetrinken gegangen sind. „Bologna“, seufzt er mit betroffenem Bedauern. „Wer drei Mal fehlt, ist nicht mehr zur Prüfung zugelassen  das wisst ihr doch? Ich kann da keine Ausnahme machen, so sind die neuen Regeln nun mal“.
In seiner Vorlesung gibt es derzeit nur die bevorstehende Prüfung. Und dafür sollen seine Studenten Lebensdaten und alle Werke der bislang behandelten Philosophen auswendig lernen.
Der Unterschied zu Berlin steckt wohl im Ziel: Will man Philosophieren lernen oder etwas über Philosophie lernen? Geht es um kritisches Bewusstsein und Hinterfragen oder systematisches Abfragen und Abhacken? Und in diesem System, so scheint es, bin ich derzeit die Störung  wie er gerne deutlich macht. Und die Ausländerin.

Es wird viel über den Bologna-Prozess gesprochen, und ich als Gaststudentin scheine ein guter Anlass dafür zu sein. Warum bist du hier?- dieser Frage folgt ein langes Gesicht.
Mittlerweile antworte ich: Drogen. Und bin erleichtert, wenn sie mich nicht ernst nehmen. Und die nächste Frage: Warum haben die Studenten in Deutschland und Österreich gestreikt? Bologna, seufze ich dann. Hier verkörpert der Name ebenfalls das Umstellen auf Bachelor und Master, aber auch Anwesenheitslisten und Zwischenprüfungen im Semester.
Eine weitere Neuerung : Studenten in Bosnien zahlen für den Masterplatz mehrere tausend Mark im Semester, abhängig vom Institut. Besonders hoch im Kurs: die juristische und die ökonomische Fakultet. Einzige Ausnahmen: sehr gute Noten, oder gute Beziehungen. Oder auch Prostitution.

„Wissen Sie, bei uns müssen Sie unsere Regeln befolgen“, schmiss mir die Bearbeiterin im Immatrikulationsbüro entgegen  einen Satz den ich hier immer wieder höre. Ich hatte mich geweigert wegen eines englischen Satzes über die Bestätigung meines Auslandssemesters einen Übersetzer aufzusuchen.
Und ich verlor den Zweikampf. Es ist wie auf einem Pfad zu Kafkas Schloss. „Suchen Sie das Ministerium für Inneres auf, dort müssen Sie sich anmelden, bevor Sie sich immatrikulieren können“.
Es sei auch keine zehn Minuten entfernt. Das war es auch, nur war es das falsche. „Sie sind hier am Marin Dvor, Sie müssen aber zur Marsala Tita, um sich anzumelden.“
Die genaue Adresse hätten sie aber nicht, ich solle auf der Straße Leute fragen. „Kleines, Sie sind hier falsch. Um sich anzumelden müssen sie ins Ministerium für Inneres, aber dasjenige für Ausländer”.
Es stellte sich heraus, dass eben dieses Ministerium drei Häuser entfernt von der Philosophischen Fakultet war. Und dann das: „Um Sie anzumelden, brauchen wir ihre Immatrikulationsbescheinigung.“ Ich musste einen Lachkrampf unterdrücken.
Aus dieser Erkenntnis bestand mein erster Tag an der Uni: ich bin hier eine Ausländerin. Und Bologna malo Morgen.

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dea
dea
14 years ago

hallo du ausländerin:D
war schon gespannt auf deine artikel!nun ist er ja da…
hoffe dir gehts besser da….:)wünsch dir viel spaß unten:D
und immer schön fleißig weiterschreiben, damit wir alle auf dem laufenden sind:)