BOSNISCHE FAMILIE

SELBSTSUCHE
schreibt: Oliver Soos

Geboren bin ich 1979 in Bayern, dort bin ich auch aufgewachsen. Mittlerweile wohne und arbeite ich in Berlin. Bis Ende der 80er sind wir einmal im Jahr nach Bosnien gefahren. Dann kam der Krieg und seitdem leben alle meine Verwandten in Zagreb. Mein Vater ist Deutscher meine Mutter Kroatin. Sie kommt aus einem kleinen 500-Seelen-Dorf in der Posavina. (Das Autokennzeichen war: MD für Modriča.) Meine Großeltern lebten in dem kleinen Dorf auf einem Bauernhof. Mein Opa war, wie alle im Dorf, Landwirt und Maurer. Natürlich hat er auch die Kirche mitgebaut, den ganzen Stolz des Dorfs. Die Kirche wurde später von serbischen Milizen zerstört und von den Kroaten dann wieder aufgebaut. Im Moment steht sie, soweit ich weiß.
Tja – und ich habe in Bosnien als kleiner Junge Flora und Fauna erforscht und natürlich alle Dorfbewohner mit meiner Zweisprachigkeit entzückt:  „Mali! Hans! Čekaj! Ja ti znam jednu njemačku poslovicu: Scheiße, scheiße, meine weiße Taube. Sta to znači?“ – „Govno, govno, moj bijeli golub. To ništa ne znači”. Trotzdem hat sich der Herr susjed (ein alter Mann mit Hut) aus irgendeinem Grund halb totgelacht.
Meine Großeltern hatten auf ihrem Bauernhof allerhand Tiere, mit denen ich gespielt habe. Am liebsten mochte ich Hühner und Küken. (Die Hähne hätten morgens um fünf ruhig mal die Klappe halten können). Je größer die Küken waren, desto schwerer konnte man sie einfangen. Und die größeren Küken musste man gut festhalten, weil sie sonst ganz wild mit den Flügeln geschlagen oder gepickt haben.
Schon mit sechs Jahren konnte ich einen in Deutschland weit verbreiteten Irrtum widerlegen: Ein Huhn ruft nicht „Ga-ga-gack!“ sondern (ich habe genau hingehört): „Pot, pot, pot, pot, podaaaaat!“ Leider forderte meine Liebe zu Hühnern auch Todesopfer. Meine Oma erzählt mir heute, dass ich mit vier oder fünf Jahren ein Küken so lange mit mir herumgetragen habe, bis es entweder erstickt oder verdurstet ist. Ganz toll fand ich es auch, Eier einzusammeln. Einmal hab ich meiner Oma ganz stolz sechs Eier gebracht. „Pogledaj, to je jedan kokoš napravio. To je dobar kokoš.“ Leider war meine Oma nicht ganz so begeistert, denn wenn ein Huhn brütet, sollte man es nicht unbedingt verscheuchen und ihm die Eier aus dem Nest klauen.
Schweine hatten wir auch. Was habe ich meinen Opa gehasst, als es ums Schlachten ging. Und uns zu Ehre wurde immer Schwein geschlachtet. Sogar mit Hitler habe ich ihn dann verglichen. Zum Schlachten kam immer ein gewisser Ivo Erceg. Er hatte ein besonders scharfes Messer und er wusste, wie man es macht. Ich bin dann immer mit meiner kleinen Schwester ins Schlafzimmer geflohen, wir haben uns die Ohren zugehalten und ganz laut „La,la,la…“ gesungen, bzw. geschrien, um nichts mitzubekommen. Für mich war das ein Akt der Barbarei, vor allem weil ich es in Deutschland gewohnt war, dass das Fleisch aus dem Supermarkt kommt. Als ich dann Stunden später bei meinem Opa auf dem Schoß saß und wir gemeinsam das aufgespießte Spanferkel am Lagerfeuer gedreht haben, da war dann alles vergessen. Umso mehr noch, als ich das erste Stück Fleisch probieren durfte.   Bei meinen Großeltern wohnte auch ein Onkel, der eine Geistesstörung hatte. Sein Verhalten ähnelte ein bisschen dem des Autisten Raymond Babbitt im Film „Rain Man“. Mein Onkel hat auch immer wieder bestimmte Sätze wiederholt. Mit mir hat er ständig Frage-Antwort-Spiele gemacht. Eines davon ging so: Mein Onkel fragt: „Šta smo nas dvoje?“ Ich antworte: „Mlade Hrvatine!“ Dann fragt er: „A šta je djed?“ und ich antworte: „Stara Hrvatina!“
Die Antworten waren streng vorgegeben, Änderungen wurden nicht akzeptiert. Dieses Spielchen machten wir mindestens fünfmal pro Tag. Mein Opa lacht sich heute noch kaputt, wenn er erzählt, dass ich jenes Spielchen auch mit Fremden in der Stadt ausprobieren musste. Ich glaube, es war in Bosanski Šamac.
Unter meinen „Opfern“ war auch ein serbischer JNA-Offizier. Er kannte die richtige Antwort auf „Šta smo nas dvoje?“ natürlich nicht und er soll ziemlich säuerlich gelächelt haben, als ich ihm erklärte, er müsse „Mlade Hrvatine!“ sagen.

Neben dem Haus meiner Großeltern wohnte der freche djed Ivo. Der hatte oft nichts besseres zu tun, als meinen Opa zu ärgern. Und mich benutzte er dabei als seinen Komplizen. Einmal, da war ich vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, da fragte er mich, ob mir aufgefallen wäre, dass sich mein Opa nie nackt zeigt und dass er sich immer versteckt, wenn er sich umzieht. Tatsächlich war mein Opa, was das angeht, sehr schamhaft. Djed Ivo vertraute mir damals an: „Znaš zašto se on sakrije? Krmača mu je kitu odgrizla.“ Und er sagte, ich solle neben dem Schlafzimmer meines Opas warten. Und wenn er sich umzieht, dann soll ich mich von hinten anschleichen und ihm die Hose runterziehen, dann würde ich es sehen. Gesagt, getan. Ein Mann, dessen bestes Stück von einem Schwein abgebissen wurde, das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Leider war ich beim Hose herunterziehen nicht schnell genug und djed Ivo …der hat auch Ärger bekommen.
Ich habe viele solche Kindheitserinnerungen an unser Dorf in Bosnien. Auch heute träume ich manchmal davon. Mit 9 Jahren war ich das letzte Mal dort. Dann kam der Krieg und danach war ich mit 20 noch einmal dort. Da war das Dorf allerdings kaum wiederzuerkennen. Alles war zugewachsen, unser Haus war bis auf die Grundmauern abgetragen. Das Dach und die Ziegel wurden dazu verwendet, andere Häuser zu reparieren. Im Haus von djed Ivo wohnte ein sehr altes freundliches serbisches Ehepaar, das aus seinem eigenen Dorf vertrieben wurde. Sie sagten, wir sollen auf keinen Fall unseren Garten oder die Felder betreten, denn man wisse nicht, wo noch Minen vergraben sind.

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NADA
NADA
9 years ago

Posjetio si me na sve to…

NADA
NADA
9 years ago

Oliver, nije loša priča. !

cromädchen
cromädchen
12 years ago

hahahaha baš sam se nasmijala na priču :))))
Tolle Geschichte Oli !

Martin
13 years ago

Gefaellt mir sehr der Blog. Schone Themenwahl.

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