Putins Eroberungspolitik von Milošević abgekupfert
von Gojko Borić
Der russische „Landraub“ der Krim sowie andere Drohgebärden gegen die Ukraine wirkten bei den Kroaten in der Heimat und im Ausland und vielen anderen Bewohnern des ehemaligen Jugoslawien wie ein Deja-vu-Erlebnis.
Fast alle Schritte, die der russische Präsident Vladimir Putin vor der Einnahme der Krim und noch mehr danach unternommen hatte, erinnerten an Miloševićs Politik gegenüber dem Kosovo, Kroatien und Bosnien-Herzegowina.
Zuerst beklagte die Belgrader Propaganda monatelang die vermeintliche Verfolgung der Serben außerhalb Serbiens. Aufgrund eines Memorandums der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste wurden lange vor Miloševićs Aufstieg zum mächtigsten Mann Serbiens die Voraussetzungen für dieses offensive Herangehen an die bestehenden Verhältnisse im sozialistischen Jugoslawien geschaffen.
Laut Memorandum hätten bei der Gründung des sozialistischen Jugoslawien alle anderen Völker die besseren Karten gezogen als die Serben. So wurde Serbien als einzige Teilrepublik in drei Provinzen geteilt und die Serben außerhalb Serbiens einem De-nationalisierungsdruck ausgesetzt.
Einen besonders schweren Stand hätten die Serben auf dem Kosovo, wo sie von der albanischen Mehrheit drangsaliert würden. In Kroatien und Bosnien-Herzegowina würden sie zunehmend ihre nationale Identität verlieren, lautet die Behauptung. So klingt auch die russische Propaganda über die Lage der Russen in der Ukraine.
Im Kosovo kam es zu Demonstrationen, weil die dortigen Albaner, die anfänglich nicht selbstständig werden wollten, die Umwandlung ihrer Provinz in eine jugoslawische Teilrepublik verlangten. Das Kosovo war zwar eine autonome Provinz Serbiens, aber auch der konstitutiver Teil des jugoslawischen Gesamtstaates. Mit dieser Zwitterposition wollten sich die Albaner nicht abfinden.
Gleiches galt für die Russen auf der Krim. Eine Autonomie innerhalb der Ukraine lehnten sie nach russischer Lesart ab und verlangten daher den Anschluss an Russland. Fast identisch verlief vor mehr als zwei Jahrzehnten die Geschichte der Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Sie gründeten zwei separatistische Pseudostaaten, die „Serbische Republik Krajina“ in Kroatien und die „Republika Srpska“ in Bosnien-Herzegowina.
Als in Zagreb die neue demokratisch gewählte Regierung unter dem antifaschistischen jugoslawischen General Franjo Tuđman an die Macht kam, wurden die Regierenden von der Belgrader Propaganda als „Faschisten“ und „Nationalisten“ attackiert. Nicht anders gebärdet sich zurzeit die Moskauer Propaganda gegenüber der ukrainischen Regierung.
In Kroatien revoltierte seinerzeit ein Teil der Serben und gründete die separatistische „Serbische Republik Krajina“. Kroatien wurde zweigeteilt. Eine solche Teilung ihres Territoriums wollte Kroatien nicht hinnehmen und schaffte in zwei militärischen Blitzaktionen das neue Gebilde ab. Anders verhielt es sich in Bosnien-Herzegowina. Dort hatte die internationale Staatengemeinschaft die „Republika Srpska“ (Serbische Republik) bestehend aus 49 Prozent des Landes, anerkannt.
Jetzt verlangt der Präsident von „Republika Srpska“, Milorad Dodik, ein Referendum wie auf der Krim, um auf diesem Weg den Anschluss an Serbien zu ermöglichen. Bis jetzt hat der Vertreter der internationalen Gemeinschaft in Sarajewo, Valentin Intzko, auf diese Provokation nicht reagiert. Ein Anschluss der „Republika Srpska“ an die Republik Serbien würde eine Kettenreaktion auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien auslösen.
Die Kosovaren würden sich Albanien anschließen und damit ein Großalbanien schaffen mit weitergehenden Besitzansprüchen auf albanische Gebiete in Mazedonien und Montenegro. Die Kroaten in Bosnien-Herzegowina wären gezwungen, sich Kroatien anzuschließen. Das verbleibende Gebiet in Bosnien käme einer „Islamischen Republik“ gleich mit allen unabsehbaren Folgen für die unmittelbare Nachbarschaft.
Zwar hat der neue serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić das Ansinnen von Dodik indirekt abgelehnt. Sollte es indes zu einem Referendum in der „Republika Srpska“ kommen mit dem Resultat eines Anschlusses an Serbien, könnte Belgrad sich einem solchen Verlangen nur schwer entziehen. Das dann entstandene „Großserbien“ könnte ganze andere politische Druckmittel nutzen gegenüben dem Kosovo, das von Belgrad nach wie vor als „heiliges serbisches Land“ beweint wird.
Ganz ähnlich spricht Putin von der Krim als einem „urrussischem“ Gebiet, wo der russische Fürst Vladimir im 10. Jahrhundert das Christentum übernommen hat. Was das Kosovo für Serbien ist, scheint die Krim für Russland zu sein, ein mystisches Land mit uralter Geschichte.
Allerdings sind 90 Prozent Bewohner des Kosovo Albaner, während die Krim nur zu 70 Prozent russisch ist. Diese Zahlen übersah Putin geflissentlich, als er die Verselbstständigung Kosovos als Beispiel für die kurzlebige Unabhängigkeit der Krim „begründete“.
Indes war die Situation im Kosovo vor mehr als 20 Jahren gekennzeichnet durch die serbische Verfolgung der Albaner. Auf der Krim lebten Russen, Tataren und Ukrainer in Frieden. Dieselbe zwischennationale Eintracht herrschte offensichtlich auch im Osten und Süden der Ukraine, obwohl die dortigen Russen durch ihre Demonstrationen einen gegenteiligen Eindruck vermitteln wollten.
Diese Unterschiede blendet Putin offensichtlich bewusst aus. Milošević war ein serbischer Nationalist, er besaß aber keine unbegrenzte Macht in Bezug auf eine Expansion Serbiens. Putin scheint sie zu haben, wenn es um Russland geht.
Die Serben haben sich gegen Milošević erhoben. Er verlor die Wahlen und wurde als Kriegsverbrecher in Den Haag angeklagt, wo er starb, bevor ein Urteil gefällt wurde. Ein solches Schicksal wird Vladimir Putin wahrscheinlich nicht erleben. Im Gegenteil: seine Popularität in Russland ist eklatant gestiegen.
Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass Putin sich auch den Osten und Süden der Ukraine mit Gewalt einverleibt. Eine ähnliche Vergrößerung Serbiens infolge eines Referendums in der bosnisch-herzegowinischen „Republika Srpska“ besteht bis jetzt nur als Wunsch des dortigen autoritär regierenden Präsidenten Dodik.
Jedoch erscheint in einem so unsicheren Staat wie Bosnien-Herzegowina auch das nicht unmöglich. Die Europäische Union und die NATO sollten die Situation aufmerksam beobachten.