WER IST MIROSLAV K.?

 Neustart des kroatischen Grossschriftstellers Miroslav Krleža  in der deutschen Übersetzungsliteratur

Von Gojko Borić
Miroslav_KrležaWer ist Miroslav K.?“  So betitelt der bekannte deutsche Slawist und Kroatist Prof. Dr.  Reinhard Lauer seinen schmalen Band über den im deutschen Sprachgebiet zu Unrecht wenig bekannten kroatischen Großschriftsteller Miroslav Krleža (1893-1981). Die Ursache für diese mangelnde Beachtung sieht er unter anderem in Krležas schwer auszusprechendem Namen, was eher anekdotisch gemeint ist. Die eigentliche Begründung dürfte eher an der schwierigen  Beziehung zu seinen Verlegern in Österreich und Deutschland gelegen haben, die menschlich und verlegerisch versagt haben. Jetzt hat der  kleine Wieser-Verlag in Klagenfurt einen Neustart von Krležas monumentalen Roman „Die Fahnen“ (Zastave) in der Übersetzung von Gerd Fischer und Silvija Hinzmann gewagt. Er liegt nun in fünf Bänden und einem Band mit Erläuterungen vor, insgesamt etwa 3 000 Seiten, zum Preis von 75 Euro, was angesichts des Volumens angemessen ist. Der Verlagsinhaber, Lojze Wieser, ein österreichischer Slowene, ist ein profunder Kenner der kroatischen Literatur und Sprache. Er schildert, wie er bereits am Anfang seiner verlegerischen Karriere 1978 von der österreichisch-kroatischen Schriftstellerin und Übersetzerin Ina Jun-Broda,   ermuntert wurde, „Die Fahnen“ herauszugeben.

Damals war Krleža bereit, sein monumentales Werk auf 800 Seiten zu kürzen, was in der jetzigen Edition dankenswerterweise nicht geschehen ist. So kann die deutsche Leserschaft sein Werk über die einzelnen Schicksale einer Großfamilie in der K.u.K.-Monarchie um die Jahrhundertwende in Krležas typischem barockem Stil in voller Länge  kennenlernen. Der Klagenfurter Verleger zitiert „The Saturday Review“, Krleža habe für Kroatien dieselbe Bedeutung wie  Balzac und Zola für Frankreich und James Joyce für Irland. In der Hamburger „Zeit“ zitiert der österreichische Schriftsteller Karl-Markus Gauß seinen französischen Kollegen Jean-Paul Sartre, der sagte,  hätte er Krležas Werke früher gelesen, würde er manchen falschen Weg gemieden haben. Dabei habe er, so präzisierte Sartre an anderer Stelle, an Krležas Roman „Die Rückkehr des Filip Latinovicz“ gedacht.

Gauß stellt den Autor in der angesehenen „Süddeutschen Zeitung“ ausführlich als Mensch und Schriftsteller vor, zeigt Fotos von Krleža als ungarischen Kadetten,  später in Gesellschaft von Präsident Tito und schließlich  hochbetagt am Ende seines langen Lebens. Gauß hebt besonders Krležas Verbindungen mit Österreich und Wien hervor, wo er zahlreiche Bekannte und Freunde hatte, die jedoch weniger die dortigen Kommunisten waren, vielmehr bekannte „kalte Krieger“, wie Friedrich Torberg. Dieser sagte einmal, Krleža habe mehr von Altösterreich verstanden als so manche  monarchistischen Nostalgiker aus Wien. Ähnlich wie Lauer mutmaßt auch Gauß, dass der „schwer auszusprechende Name“ für Krležas mangelnde Bekanntheit sei. Er zitiert jedoch eine näher liegende Begründung aus einem Essay von Krleža. Darin beschreibt er Europa als ein zwiespältiges Gebilde aus einem westlichen, museal grandiosen und historischen Teil einerseits und der an den Rand gedrängten, jahrhundertelang unterdrückten Peripherie östlicher und südöstlicher Völker. Diese Beschreibung kommt der aktuellen Situation sehr nahe angesichts der Vorschläge aus Brüssel, die EU in mehrere Geschwindigkeiten  zu teilen, um ihren Bestand zu garantieren.

Um Krleža zu verstehen, so Gauß,  müsse man seine Bedeutung für die Kroaten der von Goethe für die  Deutschen gleichsetzen. Beider literarischen und politischen Interessen sind ähnlich und vielfältig. Krleža wird von sowohl von dogmatischen Kommunisten als auch von unpolitischen  Ästheten ebenso  von Internationalisten und  kroatischen Regionalisten gern zitiert. Der Slawist Richard Götz lobt Krležas sprachliche Kompromisslosigkeit  und findet im ersten Kapitel seines Romans  zahlreiche Germanismen, Latinismen, Franzismen, Anglizismen ebenso wie Wörter aus der ungarischen, tschechischen, türkischen und italienischen Sprache. Gauß hebt Krležas Kritik sowohl an den feudalistischen österreichischen Gegebenheiten als auch an der kroatischen Leidensbereitschaft und den Untertanengeist hervor. Für den österreichischen Autor lasse sich Krležas Werk „Die Fahnen“ mit Joyces „Ulysses“ und Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ vergleichen. In einem ähnlich lobendem Vergleich äußerte er sich in einer Sendung auf 3SAT, in der Krleža selbst im nahezu akzentfreiem Deutsch zu Wort kam.

Für Lerke von Saalfeld von der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ist Krleža der „große unbekannte Autor der europäischen  Literatur.“ Sie beschreibt seine Treffen mit dem ungarisch-französischen Publizisten Ferenc Fejtö und dem  philosophierenden Schriftsteller Jean-Paul Sartre, die jedoch bei dem Kroaten auf Ablehnung stießen, weil, so von Saalfeld, sein Land sich, um Anerkennung zu finden, auf verlorenem Posten befand. Dennoch, so die Autorin weiter, war Krleža ein überzeugter Europäer und Kenner der europäischen Literatur und Philosophie, was ihm dennoch nicht zum Nobelpreis verhalf. Den erhielt ein anderer gebürtiger Kroate, Ivo Andrić, dessen Werk sich nicht mit der Gegenwart, sondern mit alten Geschichten aus der osmanischen Zeit befasst. Hinzukam, dass Krleža ausgewiesener Marxist war, was ihm seinerzeit  beim  Nobel-Komitee nicht zum Vorteil gereichte. Lerke von Saalfeld empfiehlt das Lesen des Romans,  der – wie sie betont – 50 Jahre später in der deutschen Übersetzungsliteratur angekommen sei. Wir sind der Meinung: spät, aber nicht zu spät.

Auch die „Tiroler Tageszeitung, online“ hält Krležas Roman „Die Fahnen“ unbedingt für lesenswert, zumal er den Untergang der K.u.K.-Monarchie abseits der österreichzentrischen Perspektive zeigt. Krleža erhält seinen Platz neben Joseph Roth, Robert Musil und Karl Kraus. Neben den gesellschaftlichen Konflikten sind für den Autor ebenso  die ständigen Reibereien zwischen Sohn und Vater Emerički wichtig, zumal der Vater als Opportunist schließlich erfolgreich ist, der Sohn als Idealist Verlierer bleibt. Auch im Deutschlandfunkradio.de und von einigen weiteren Kritikern wird Krleža neben Goethe platziert, nicht nur wegen seines enormen Wissens, sondern auch der sprachlichen Kraft des Romans. Dabei wird die Leistung der Übersetzer hervorgehoben, zumal das Werk als unübersetzbar galt.  Das „Winterbrink.net“ Portal hebt die Monumentalität des Werks von 3.000 Seiten hervor und schlussfolgert, dass dieser Roman wenige Leser erreichen wird, ähnlich der Werke von Joyce, Proust oder Musil. Bedeutend sei aber, so der Kritiker, dass es überhaupt lesbar sei und für andere Autoren von Nutzen sein könnte.

Jörgen Plath von der „Neue Züricher Zeitung“ beschreibt das Leben und Werk von Miroslav Krleža als sehr ambivalent. Einige bezeichnen ihn als „unmöglichen Menschen“, nicht zuletzt, weil er Marxist war. Für andere ist er der Größte nicht nur in der Literatur, sondern der Kultur überhaupt. Er war zwar mit dem Diktator Tito befreundet, andererseits unterzeichnete er die berühmte „Deklaration über den Namen und die Stellung der kroatischen Literatursprache“, die seinerzeit als große politische Provokation von der kommunistischen  Partei gebrandmarkt wurde. Krleža beschäftigte außerdem in seinem Lexikographischen Institut zahlreiche Nationalisten, was nicht ohne Gefahr für ihn war. Einige seiner Bewunderer, so der Enzyklopädist Velimir Visković, finden nicht genug lobende Worte über ihr Idol. Andere wiederum, wie der Literaturprofessor Krešimir Nemec, kritisieren Krleža mit dem Vorwurf, er habe mit keiner Silbe die von den Kommunisten verübten  Massenexekutionen nach 1945 sowie die  Gefangeneninsel Goli otok des Diktators Tito erwähnt. Nach unserer Meinung war dies nicht zu erwarten, da Krležas Stellung nach 1945 sehr unsicher war. Er war nicht zu Titos Partisanen gestoßen, wie der greise kroatische Schriftsteller Vladimir Nazor und sein junger Freund und Dichter Ivan Goran Kovačić. Nazor wurde später zur bloßen Galionsfigur der kommunistischen Machthaber in Kroatien,  Kovačić von serbischen Faschisten im zweiten Weltkrieg ermordet. Sein Grab ist bis heute unbekannt. In einem seiner Gedichte hat er dies vorausgesehen. Krleža wollte weder das eine noch das andere Schicksal provozieren.

Was von ihm bestehen bleibt, sind seine großartigen Werke. Eines davon liegt jetzt in deutscher Übersetzung vor, sein Opus magnum und Meilenstein nicht nur der kroatischen, sondern auch der Weltliteratur –  im besten Sinne von Johann Wolfgang von Goethe.

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Marija Juračić
7 years ago

Ausgezeichnet geschrieben!
“Sein Grab ist bis heute unbekannt. In einem seiner Gedichte hat er dies vorausgesehen.”

Moj grob

U planini mrkoj nek mi bude hum,
Nad njim urlik vuka, crnih grana šum,

Ljeti vječan vihor, zimi visok snijeg,
Muku moje rake nedostupan bijeg.

Visoko nek stoji, ko oblak i tron,
Da ne dopre do njeg niskog tornja zvon,

Da ne dopre do njeg pokajnički glas,
Strah obraćenika, molitve za spas.

Neka šikne travom, uz trnovit grm,
Besput da je do njeg, neprobojan, strm.

Nitko da ne dođe, do prijatelj drag, –
I kada se vrati, nek poravna trag.